AUTHENTISCHE DESIGNARTEFAKTE

Nonkonformistisches Design befriedigt durch Kompromisslosigkeit.
Alles Dekorative wirkt dem gegenüber erschreckend bedeutungsleer.
KATALOGE
CONTEMPORARY 21. CENTURY

Ungehorsamkeit als befriedigendes Spiel.
Das Nackte der Objekte offenbart das Essenzielle, das Unmittelbare, das Wahrhafte.
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Pierre Jeanneret Stuhl – Original Chandigarh Design bei P! Galerie Zürich
Das Chandigarh-Projekt: Architektur und Design als gesellschaftliche Vision
1951 erhielt Le Corbusier den Auftrag, Chandigarh als neue Hauptstadt des Punjab zu entwerfen. Pierre Jeanneret, sein Cousin, übernahm die Rolle des leitenden Architekten vor Ort und verbrachte 15 Jahre in Indien – von 1951 bis 1965. Während Le Corbusier die monumentalen Regierungsbauten entwarf, entwickelte Jeanneret das komplette Möbelprogramm für die neue Stadt: Möbel für Verwaltungsgebäude, Universitäten, Gerichte und öffentliche Einrichtungen.
Diese Möbel waren keine Nebensache. Sie waren integraler Bestandteil eines politischen und sozialen Experiments: einer modernen, demokratischen Hauptstadt im post-kolonialen Indien. Jedes Stück musste funktionieren – in einem tropischen Klima, mit lokalen Materialien, produziert von lokalen Handwerkern, reparierbar ohne importierte Ersatzteile. Jeanneret entwickelte keine Designobjekte für eine europäische Klientel, sondern Infrastruktur für eine entstehende Stadt.
Die Herausforderung war radikal: Wie übersetzt man modernistische Prinzipien in einen indischen Kontext? Wie schafft man Möbel, die gleichzeitig funktional, produzierbar und formal kohärent sind? Wie erschafft man gleichzeitig Objekte zu erschaffen, die visionär sind? Jeannerets Antwort war ein Ausdruck des Notwendigen – reduziert auf Struktur, Material und Funktion, ohne den Zauber von Möbeln aus den Augen zu verlieren.
Materialität und Produktion
Jeanneret arbeitete mit indischem Teakholz, Sissoholz, Rohrgeflecht, Metall und Bambus. Die Möbel wurden in Chandigarhs Regierungsworkshops gefertigt, nicht in europäischen Manufakturen. Das bedeutete: traditionelle Tischlerei statt maschineller Präzision, Anpassungen an verfügbare Werkzeuge, lokale Holzstärken, klimatische Bedingungen.
Diese Produktionsweise erzeugte Variationen. Unterschiedliche Werkstätten verwendeten leicht abweichende Maße. Holzverbindungen zeigen individuelle Handschriften. Manche Stühle tragen Stempel der produzierenden Behörde: „PEC“ (Punjab Engineering College), „PU“ (Panjab University), Gerichtsnummern wie HC. Diese Details sind keine Fehler – sie sind Authentizitätsmerkmale, die die Geschichte des Objekts lesbar machen.
Das verwendete Holz war oft nicht perfekt durchgetrocknet. In Indiens Monsunklima arbeitete das Holz, verzog sich leicht, entwickelte Risse. Pierre Jeanneret akzeptierte das. Die Konstruktionen wurden so konzipiert, dass sie diese Bewegungen aufnehmen konnten, ohne die Stabilität zu verlieren. Diese Anpassungsfähigkeit – technisch und konzeptuell – unterscheidet seine Arbeit von der starren Perfektion europäischer Manufakturen.
Die Rattanbespannungen wurden von lokalen Handwerkern geflochten, oft in Mustern, die regionale Traditionen widerspiegeln. Jeanneret orchestrierte keine totale Kontrolle, sondern ermöglichte Interpretationsspielräume. Das Resultat: Möbel, die zwischen europäischem Modernismus und indischer Handwerkskunst oszillieren.
Ikonische Modelle und ihre Funktion
PJ-SI-28-B Office Cane Chair: Der standardisierte Bürostuhl für Chandigarhs Verwaltung. Geneigter Sitz, Rückenlehne gewölbt, Rattan-Bespannung für Luftzirkulation. Die Konstruktion ist auf maximale Stabilität bei minimalem Materialeinsatz optimiert – jedes Element erfüllt eine strukturelle Funktion und suchte diesen visuall auszudrücken. Die charakteristische A-förmige Rückenlehne verteilt die Last und erlaubt gleichzeitig flexible Sitzhaltungen.
PJ-SI-59-A „Kangaroo“ Lounge Chair: Entworfen für Wartebereiche und Bibliotheken. Die Holzkonstruktion bildet einen durchgehenden Bogen vom Boden bis zur Rückenlehne – strukturell effizient und formal reduziert. Der Name stammt von Händlern, nicht von Jeanneret selbst. Die tiefe Sitzposition und der steile Rückenlehnenwinkel erzeugen eine kontemplative Haltung – kein Möbel für längeres Verweilen.
PJ-SI-33-C Committee Bench: Modulare Sitzbank für Versammlungsräume. Die einzelnen Elemente konnten je nach Raumgröße kombiniert werden – ein Möbel, das den modularen Ansatz der Stadtplanung auf die Inneneinrichtung überträgt.
Floating-Back Armchair oder Capital Complex Chair PJ-SI-28-A: Die Rückenlehne ist nicht starr mit dem Sitz verbunden, sondern schwebt. Eine konstruktive Raffinesse, die Raffinesse erzeugt. Technisch anspruchsvoll in der Fertigung, deshalb in geringerer Stückzahl produziert.
Bücherregale und Ablagesysteme: Weniger bekannt, aber ebenso durchdacht. Modulare Regalsysteme, die vertikal und horizontal erweitert werden konnten. Schreibtische mit integrierten Ablagen, die Papierfluss und Arbeitsorganisation strukturieren. Diese Möbel waren nicht neutral – sie waren radikal in ihrer visionären Kraft.
Was P! Galerie macht – und nicht macht
Wir restaurieren nicht über. Ein Stuhl, der Jahrzehnte in einem Ministerium in Chandigarh stand, zeigt Gebrauchsspuren: Kratzer vom Verschieben, Verfärbungen durch Sonnenlicht, Abnutzung an den Armauflagen, wo Generationen von Beamten ihre Hände ablegten. Diese Patina ist Geschichte. Sie entfernen heißt: die Objektbiografie auslöschen.
Unsere Konservierung konzentriert sich auf Stabilität: lose Verbindungen werden gefestigt, gerissene Rattanbespannungen fachgerecht ersetzt, Holzoberflächen gereinigt aber nicht abgeschliffen. Wir arbeiten mit Restauratoren, die mit tropischem Hartholz und traditioneller Tischlerei vertraut sind – Spezialisten, die verstehen, dass diese Möbel nach anderen Logiken funktionieren als europäische Mid-Century-Produktion.
Die Herausforderung bei der Konservierung liegt im Umgang mit Klimaschäden. Holz, das Jahrzehnte in Indiens Monsunklima verbrachte, hat sich verändert. Manche Risse sind strukturell irrelevant, andere bedrohen die Integrität. Diese Unterscheidung erfordert Erfahrung. Wir konservieren so wenig wie möglich, so viel wie nötig.
Provenienz und Authentizität
Der Chandigarh-Möbelmarkt ist kompliziert. Nach Jeannerets Tod 1967 blieb die Stadt mit Tausenden von Möbelstücken zurück. In den 1970er und 80er Jahren galten sie als veraltet – viele wurden ausgemustert, landeten auf Märkten, wurden exportiert. Erst ab den 2000ern begann systematisches Sammeln und damit auch die Produktion von Reproduktionen.
Heute existieren drei Kategorien: Verifizierte Stücke mit dokumentierter Herkunft aus bestimmten Gebäuden. Stücke mit plausibler Chandigarh-Provenienz – richtige Materialien, Konstruktion, Werkstattmerkmale – aber ohne lückenlose Dokumentation. Und Reproduktionen, die seit den 2010ern produziert werden, manche davon qualitativ hochwertig und schwer zu unterscheiden.
Wir handeln nur mit verifizierbaren Originalen. Die Authentizitätsmerkmale sind subtil: Werkstattstempel, die oft verblasst oder überlackiert sind. Konstruktionsdetails, die sich zwischen offiziellen Zeichnungen und tatsächlicher Ausführung unterscheiden. Gebrauchsspuren, die nur durch jahrzehntelange institutionelle Nutzung entstehen können. Holzqualität und -bearbeitung, die indische Produktion der 1950er-60er Jahre verraten.
Parallele Positionen in einer poetischen Radikalität: Rietveld, Perriand, Prouvé, Bo Bardi, Strala
P! Galerie zeigt Pierre Jeanneret Möbel im Kontext verwandter Positionen. Gerrit Rietvelds Arbeiten für Utrecht – seine Stühle für Sozialwohnungen und öffentliche Einrichtungen der 1920er-30er Jahre – teilen mit Jeanneret radikale Züge. Rietvelds Rot-Blau-Stuhl ist ikonisch.
Charlotte Perriands Bibliotheksregale für die Maison du Mexique (1952) teilen mit Jeanneret den Ansatz, Architektur und Mobiliar als Einheit zu denken. Ihre modularen Systeme reflektieren ähnliche Fragen: Wie organisiert man räumlich? Wie schafft man Flexibilität? Wie geht man hier an die Grenzen und verleiht dem Ganzen eine poetische Komponente.
Jean Prouvés Schulmöbel für afrikanische Kolonien entstanden aus ähnlichen Überlegungen: robust, günstig, lokal produzierbar. Prouvés industrielle Ästhetik unterscheidet sich von Jeannerets Handwerksansatz, aber die Grundfragen überschneiden sich. Beide entwickelten Möbel als Infrastruktur, nicht als Luxus.
Lina Bo Bardis Möbel für brasilianische Institutionen (1960er–80er) zeigen eine parallele Entwicklung: europäischer Modernismus, übersetzt in einen nicht-europäischen Kontext, transformiert durch lokale Materialien und Produktionsbedingungen. Ihre Stühle für das SESC Pompéia in São Paulo – Beton, Holz, Leder – verkörpern eine ähnliche Radikalität – das Exprimentelle als essentieller Aspekt ihrer Vorgehensweise.
Tom Stralas aktuelle Arbeiten setzen diese Linie fort. Seine Möbel reduziert, politisch lesbar, anti-kommerziell – stellen ähnliche Fragen wie Jeanneret sieben Jahrzehnte zuvor: Wie kann Form politische Haltung ausdrücken? Wie verdeutlicht Design Kritik, Widerstand?
War das Design der Moderne von einer Dogmatik geprägt, so zeigen sich hier andere Ansätze. Poetischer Widerstand wird hier erkennbar. Etwas, das den Möbelstücken eine Intensität und Relevanz verleiht.
Der Showroom in Dietikon
Unser Showroom zeigt keine Wohnzimmer-Szenerien. Die Möbel stehen in architektonischen Arrangements: Raumhöhe sichtbar, Licht von oben, Betonboden. Man soll die Konstruktionen sehen, die Proportionen verstehen, die Materialität erfassen – nicht sich vorstellen, wie der Stuhl neben dem Sofa aussähe. Ist die Aura, der Widerstand, die Intensität erkennbar?
Termine nach Vereinbarung. Wir nehmen uns Zeit. Sammler können Stücke untersuchen, Verbindungen inspizieren, Konstruktionsdetails studieren. Fotografien zeigen Möbel, aber sie zeigen nicht das Gewicht von massivem Teakholz, die Textur von handgeflochtener Rattan, die subtilen Unterschiede zwischen Werkstattproduktion und industrieller Fertigung.
Der Showroom funktioniert auch als Forschungsraum. Wir haben eine Bibliothek mit Originaldokumentation zu Chandigarh, Archivmaterial zu Jeanneret, Korrespondenz, Fotografien. Sammler und Forscher können hier nicht nur Möbel sehen, sondern den historischen Kontext studieren.
Für wen sind diese Möbel?
Nicht für jeden. Sie sind nicht bequem im Sinne eines gepolsterten Fernsehsessels. Sie sind nicht perfekt im Sinne skandinavischer Manufakturen. Sie sind rau, direkt, kompromisslos.
Sie funktionieren für Menschen, die Architektur als soziale Praxis verstehen. Die Interesse an materieller Kultur haben, an Design-Geschichte jenseits der kanonischen Erzählungen. Die bereit sind, mit einem Stuhl zu leben, der Fragen stellt statt Komfort zu versprechen.
Pierre Jeanneret Möbel sind keine Lifestyle-Objekte. Sie sind historische Artefakte, die eine bestimmte Vision von Modernität verkörpern – demokratisch, funktional, anti-elitär. Ihre Rauheit ist nicht Mangel, sondern Programm. Ihre Unvollkommenheit ist nicht Fehler, sondern Authentizität.
Sammler dieser Möbel sammeln keine Styles, sondern Positionen. Sie interessieren sich für die Frage, wie Design gesellschaftliche Verhältnisse formen kann. Wie Möbel Macht ausdrücken oder Gleichheit ermöglichen. Wie Form Ideologie materialisiert.
P! Galerie: Spezialisierung auf radikales Design
P! Galerie wird von Pedja Hadzi-Manovic geleitet, Architekt (ETH Zürich), spezialisiert auf Mid-Century Design und ihre materiellen Artefakte. Die Praxis verbindet Handel mit Forschung – jedes verkaufte Stück ist auch ein studiertes Objekt.
Unser Fokus liegt auf radikalem Design – Möbel, die formale, politische oder soziale Grenzen verschieben. Nicht Mainstream-Modernismus, sondern Positionen, die unbequem sind: ideologisch, formal, materiell. Jeanneret, Rietveld, Prouvé, Bo Bardi, Strala – diese Designer verstanden Möbel nicht als Styling, sondern als Widerstand, Experiment, Abbild der Realität.
Radikales Design bedeutet: Verweigerung von Konventionen. Ablehnung dekorativer Gesten und einer kommerziellen Anbiederung. Material als gesellschaftliches Statement. Form als Frage, nicht als Antwort. Diese Möbel provozieren – nicht durch Spektakel, sondern durch Konsequenz.
Wir arbeiten mit Museen, Sammlern und Institutionen weltweit. Unsere Präsenz auf 1stdibs, Artsy, Art Basel und Design Miami positioniert uns im internationalen Diskurs über architektonische Möbel. Gleichzeitig kooperieren wir mit Auktionshäusern wie Sotheby’s, Christie’s, Piasa und Wright20, behalten aber kuratorische Unabhängigkeit.
Diese Doppelrolle – kommerziell und kuratorisch – ist bewusst. Der Markt für radikales Design braucht Expertise, Kontext, kritische Standards. Wir verstehen uns als Vermittler zwischen historischen Objekten und zeitgenössischer Sammlerschaft, zwischen akademischer Forschung und praktischem Handel. Nicht jedes Mid-Century Stück ist radikal – wir selektieren nach konzeptueller Strenge, nicht nach Markttrends.
Kontakt
P! Galerie, Dietikon bei Zürich
Termine nach Vereinbarung
Dokumentation und Provenienzforschung auf Anfrage
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